„Wir sind mit anderen Zielen hierhergefahren!“

Johanna Grimm • Aug. 04, 2023

Gründe für das historische WM-Aus der Nationalmannschaft

Der Schmerz sitzt tief, auch bei Kapitänin Alexandra Popp.

© Michael Memmler

Sydney Lohmann erkämpft sich den Ball. Sie dribbelt. Lohmann schießt. Immer und immer wieder ist es Lohmann in den letzten entscheidenden Minuten des Spiels. Man hat fast den Eindruck, sie ist die Einzige, die noch an einen Sieg und das Weiterkommen der Deutschen Frauen glaubt. 


Lohmann kam erst zur 64. Spielminute in die Partie, zum Ende hin konnte sie also in Sachen Fitness und Laufpower deutlich mehr auf den Platz bringen als ihre Teamkolleginnen, die die letzten 60 Minuten des Spiels schon geackert hatten. Wir möchten hier keinen Vergleich ziehen zu körperlicher Leistung und Fitness, sondern durch Sydney Lohmann verdeutlichen, was es für die Deutschen Frauen gebraucht hätte, um doch noch ins Achtelfinale einzuziehen: Spielfreude, Siegesmut und insbesondere den Willen ums Weiterkommen. Absprechen kann man keiner einzelnen, dass das Achtelfinale nicht das Ziel war bei dieser WM und gerade im Spiel gegen Südkorea. Jede Spielerin gab alles und so viel, wie sie in den jeweiligen Momenten geben konnte. Und dennoch hat es nicht gereicht. Weil jede Einzelne mehr geben kann, als sie es bei den drei Gruppenspielen getan hat und in diesen Momenten konnte. Und genau das erklärt schlichtweg das so frühe und historische Ausscheiden der deutschen Mannschaft bei der Weltmeisterschaft 2023 in Australien und Neuseeland. Doch welche Gründe genau dahinterstehen, bedürfen einer sportlichen und strukturellen Einordnung. Denn eigentlich ist man "mit anderen Zielen hierhergefahren", so Martina Voss-Tecklenburg.

Als Deutschland ist man eigentlich immer Favorit

Als Deutschland ist man eigentlich immer Favorit. Auf dem Papier sowieso, spielerisch meistens. Auch die Gruppenauslosung der WM bestätigte dies eigentlich. 

Sportlich gesehen starteten die Deutschen souverän ins Turnier. Der 6:0 Sieg gegen Marokko schien die (etwas) holprige Vorbereitungsphase wieder in den Hintergrund zu rücken und ließ optimistisch auf den Verlauf des Turniers hoffen. Dennoch überschattete er Fehler, Unsicherheiten und Aufbauprobleme, die das deutsche Spiel zeichneten. Zwar klingelte es vorne, jedoch war bei Weitem nicht alles perfekt. Fehlpässe, zu wenig Präsenz im Mittelfeld und die ein oder andere Unsicherheit in den Abwehrreihen offenbarten sich schon hier. Dies rächte sich im Spiel gegen Kolumbien. Trotz einer spielerischen Überlegenheit wurde mit zu wenig Entschlossenheit gegen die sehr körperbetont spielenden Südamerikanerinnen herangegangen, auch hier ließ Entschlossenheit missen. Nach 1:1-Ausgleich, der tatsächlich noch mit Willen und Entschlossenheit erkämpf wurde, schaltete die deutsche Elf ab, sah sich mit Punkteteilung schon sicher in die Kabine gehen. Leichtsinnigkeit war die Folge und die Niederlage durch ein spätes und unglückliches sowie vermeidbares Gegentor das bittere Ende. 


Auch im entscheidenden letzten Spiel gegen Südkorea war Deutschland klarer Favorit auf dem Papier, aber das Geschriebene konnte nicht in Realität umgesetzt werden. Statt an Spielfreude, Mut und eigentlich gewohnte Spielpräsenz anzuknüpfen, ließ sich Deutschland verunsichern. Ein früher Rückstand löste bei den Deutschen nicht nur Verunsicherung aus, sondern bewirkte das Gefühl der Ohnmacht. Es war nicht nur der weitere Kontrollverlust auf dem Feld, sondern der Verlust des Vertrauens jeder Einzelnen in sich selbst und das Team. Als Konsequenzen sind Fehlpässe, Unkonzentriertheit, schlechte Spielzüge, Leichtsinnigkeit und Ballverluste nicht aus der Luft gegriffen. 

Fehlanzeige: Vertrauen auf die eigenen Stärken und mentale Überzeugung 

Doch durch diese beiden Spiele lässt sich ein Exempel statuieren. Es steckt mehr hinter den überraschenden Niederlagen als bloße Unkonzentriertheit und schlechtes Spiel. Dahinter versteckt sich der Umstand, dass zu wenig Erfahrung mit Niederlagen und Rückschlägen in den deutschen Reihen vorhanden ist. Die damit verbundene Unsicherheit setzt sich in den Köpfen der Spielerinnen fest, lässt sie noch schlechter ins eigene Spiel finden. Emotional gesehen und als psychische Analyse ist also eine junge Generation auf dem Platz, die lernen muss, Entscheidungen zu treffen und mit Niederlagen und Rückständen im Spiel umzugehen. Einzelne Führungsspielerinnen wir Alexandra Popp oder Svenja Huth können zwar Impulse setzen doch bei weitem nicht einen mentalen und vor allem externen Anstoß dafür geben, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: trotz eines Rückstandes auf die eigenen Stärken zu vertrauen und weiter das eigene Spiel durchzuziehen als sich in schlechten Pässen und unschönen Spielzügen weiter selbst zu verunsichern. Das muss aus jeder Spielerin selbst kommen. Das muss fest vorhanden sein, um die spürbare Angst aus eigener Kraft überwinden zu können.

Erwartbare Widerstände konnten nicht überwunden werden

Das deutsche Team wusste, welche Qualitäten ihre Gegnerinnen auf dem Platz haben und dennoch konnten erwartbare Widerstände nicht überwunden werden. Auch wussten der Trainerstab und die Spielerinnen welche Mannschaften auf sie zukommen: robuste Kolumbianerinnen und siegeswillige Koreanerinnen, die nichts zu verlieren hatten. Da mangelt es nicht an fehlender Vorbereitung, sondern an fehlender Mentalität. 

Deutschland fand nicht ins eigene Spiel, war gerade im Mittelfeld zu passiv, selten die ersten am Ball und in Zweikämpfen zu unentschlossen. Nach vorne fehlte die letzte entscheidende Präzision im letzten Pass und auch sonst schien ein anderes Team als bei der Euro 2022 in England auf dem Platz zu stehen. Neben dem Platz schien alles beim Alten, die Mentalität, die die Deutschen ausmachte, ist abseits des Spielfelds weiterhin vorhanden. Die Mannschaft tritt als Einheit auf, versprüht gute Laune, symbolisiert Vertrautheit und Zusammengehörigkeit. Nur auf dem Platz hat man sie missen müssen, die deutsche Leichtigkeit und Spielfreude. Einher geht dies mit der angesprochenen fehlenden Vertrauensbasis ins eigene Spiel und in die eigenen Stärken. Durch Vertrauensverlust in sich selbst, wird jeder zu gehende Weg länger, jeder zu spielende Ball schwerer, jeder Schuss zu schwach. So schwinden Leichtigkeit, Selbstverständlichkeit und Spielfreude. Das ganze Spiel wird kein Spiel mehr, sondern eine Pflicht. Und daran scheitern unerfahrene Spielerinnen nun mal, die nur agieren können aber beim Reagieren auf gegnerische Spielweisen und Spielumstände Schwierigkeiten bekommen.

Ist Deutschland noch eine Fußballnation? 

Dabei hat es die deutsche Öffentlichkeit der deutschen Mannschaft gewünscht, ins Achtelfinale einzuziehen, Siege zu feiern und Erfolg zu haben. Das Team galt als Leistungsbeispiel in deutschen Medien und bei Sportbegeisterten. Nicht nur in Sachen Erfolge und Leistung, sondern insbesondere was den Hunger der Deutschen nach internationalen sportlichen Erfolgen angeht, war die Mannschaft von Martina Voss-Tecklenburg Vorbild für viele. Gerade für junge Mädchen und Sportlerinnen.

Gemerkt hat man das an mehr Fußballbegeisterung, volleren Stadien und mehr Akzeptanz des Frauenfußballs in Deutschland. Verschwunden wird dieses Gefühl nun nicht sein, aber einen harten Rückschlag wird es wohl erlitten haben. 


Und Deutschland als Fußballnation? Stehen uns düstere Zeiten bevor? Die Männer haben, um es milde auszudrücken, schon mal bessere Leistungen auf den Platz gebracht und auch die Frauen haben viel Aufarbeitung vor sich. Sind wir überhaupt noch eine ‚Fußballnation?‘ Um diese Frage zu bejahen, braucht es nicht nur Aufarbeitung bei der deutschen Frauen-Nationalmannschaft. Auch der DFB und dessen Entscheidungsträger müssen Konzepte, Strukturen und Herangehensweisen neu denken und Veränderungen endlich angehen.

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